Blockchain im Gesundheitswesen

03.08.2022

Durch die Corona-Krise hat man gesehen, dass die digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen Nachholbedarf hat: Meldungen der neusten Corona-Infektionszahlen per Fax, Kontaktverfolgung per Telefon, Zettelwirtschaft und inkompatible Systeme statt moderner, länderübergreifender Strukturen und Echtzeitdaten.

Die Krise wirkt wie ein Katalysator für die Digitalisierung im Gesundheitswesen und durch disruptive Technologien entstehen Möglichkeiten diese analogen Arbeitsweisen zu modernisieren.

Die Blockchain-Technologie kann ein Weg sein, diesen digitalen Wandel im Gesundheitswesen, aber auch in der Pharmaindustrie, der Medizin und Medizintechnik, zu bestreiten. Sie organisiert sich in einem dezentralen Netzwerk mit Peer-to-Peer-Anwendungen und bietet vor allem durch kryptologische Methoden ein großes Maß an Authentizität, Sicherheit und Integrität – insbesondere für sensible Gesundheitsdaten. In diesen Artikel beleuchten wir kurz die Gründe für den Einsatz einer Blockchain im Gesundheitsbereich, die Anwendungsmöglichkeiten und werfen einen Blick in die Zukunft.

Lückenlose Verfolgung der Lieferkette
Abbildung 1: Lückenlose Verfolgung der Lieferkette
Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b3/Pharmalieferkette_v01.svg

Status quo: Digitalisierung im Gesundheitswesen

Viele digitale Lösungen sind heute schon im Einsatz. „Das beginnt bei der Onlinebuchung von Arztterminen und umfasst neben der Videosprechstunde, online Arzneimittelbestellung in der Versandapotheke oder den digitalen Beipackzettel.“ (vfa. Die forschende Pharma-Unternehmen; Digitale Gesundheit) Laut einer Deloitte-Studie von 2020 entsteht alleine in der Gesundheitsbranche rund ein Drittel der weltweiten Datenmenge. Es werden enorme Datenmengen schon alleine durch die medizinische Dokumentation, regulatorischen Anforderungen oder die Patient:innenversorgung generiert. Hinzu kommen Daten aus digitalen Clients, wie Smartphone, Smart Watch, Applikationen bei Ärzten, usw. „Obwohl medizinische Daten zunehmend digital gespeichert werden, kommen häufig isolierte bzw. inkompatible Systeme zum Einsatz.“(Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020) Das führt zu Datensilos, das heißt, eine Datenbank, auf die nur ein Unternehmen oder gar nur eine bestimmte Abteilung Zugriff hat und dem Rest bleibt sie aus technischen oder organisatorischen Gründen verschlossen. Dadurch wird der Austausch von Daten erschweren und der Dokumentationsaufwand erhöht.

Die Bertelsmann Stiftung hat in einer Studie von 2018 den Digital-Health-Index eingeführt. Dieser gibt Auskunft darüber welche Strategien verfolgt werden, welche technische Einsatzbereitschaft vorhanden ist und welche tatsächliche Nutzung werden hinsichtlich Digitalisierungsfortschritte im Gesundheitswesen einzelner Länder. Deutschland landet mit einer Bewertung von 30,0 auf dem vorletzten Platz (Estland liegt zum Vergleich mit einer Bewertung von 81,9 auf dem ersten Platz). Begründet wird Deutschlands Bewertung laut Studien vor allem durch eine fehlende Gesamtstrategie. So mussten z.B. meldepflichtige Infektionen wie SARS-CoV-2 anfangs noch per Fax gemeldet werden, da eine einheitliche Infrastruktur zwischen Gesundheitsämtern, Laboren und Robert-Koch-Institut für die Meldungen nicht vorlag. Schnittstellen und gemeinsame Standards wären ein erster Schritt um einen einfachen und integrierten Austausch von Daten zu gewährleisten.

Gerade dieser massive Anstieg an Daten und die sich immer weiterverbreitenden Gesundheits- und Wellness-Apps begünstigen den Trend zur Digitalisierung im Gesundheitswesen und legen die grundsätzlichen Voraussetzungen für den Einsatz einer Blockchain. Daraus können neue Use Cases abgeleitet werden.

digitale Fitnessdaten
Abbildung 2: digitale Fitnessdaten  Quelle: https://encrypted-tbn0.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcRorTlIerXlFBz_N4x7CODa2qc2SfQgieKSZw&usqp=CAU

Gründe für die Blockchain im Gesundheitswesen

Die im Gesundheitssystem gewonnen Gesundheits- und Forschungsdaten geordnet zu sammeln und in transparenter Form mit Einverständnis der Patient:innen und App-Nutzenden den entsprechenden Institutionen zur Verfügung zu stellen, wäre mit Hilfe der Blockchain-Technologie möglich. Dies würde eine deutliche Effizienzsteigerung in der Gesundheitsversorgung ermöglichen. Gleichzeitig bietet die Blockchain-Technologie auch ein hohes Niveau an Transparenz, da Transaktionen lückenlos und fälschungssicher dokumentiert werden. Darüber hinaus sind Sicherheit und Schutz vor unberechtigten Zugriff oder Manipulationen durch Dritte gewährleistet.

„Der Einsatz der Blockchain im Gesundheitswesen empfiehlt sich somit beispielsweise bei den folgenden Aufgabenstellungen:

  • Die Integrität von Transaktionen muss gewährleistet werden, z.B. durch digitale Signaturen bei Verträgen oder dadurch, dass Änderungen an Daten stets nachvollziehbar protokolliert werden
  • Daten sollen einrichtungsübergreifend verteilt werden – seien dies Gesundheitsdaten oder Gerätedaten
  • Identitäten und Berechtigungen von Personen, Organisationen oder Maschinen sollen überprüft werden können
  • Prozesse müssen rechtssicher und unveränderbar definiert und durchlaufen werden“
    (Johner Institut; Blockchain im Gesundheitswesen; Prof. Dr. Christian Johner; 27.03.2018)

Dabei geht es primär um „permissioned Blockchains“, eine private, nicht öffentlich einsehbare Blockchain, die nur von autorisierten Personen genutzt werden kann.

Anwendungsbereiche der Blockchain im Gesundheitswesen

Es gibt zahlreiche potentielle Anwendungsfälle für Blockchain im Gesundheitswesen, um die riesige Sammlung medizinischer Daten einer großen Menge an Nutzenden sicher zugänglich zu machen.

  • Austausch und Authentifizierung von Patientendaten (digitale Patientenakte)
  • Vereitlung / Rückruf gefälschter Arzneimittel
  • Sicherheit in der Steuerung von Medizinprodukten und sichere Lieferketten
  • Dokumentation von Gesundheitsinformationen
  • Qualitätssicherung im Krankenhaus
  • Betrugsvermeidung in der Rezeptabrechnung
  • Beschleunigung des Transformationsprozesses bei klinischen Studien
Anwendungsbereiche Blockchain
Abbildung 3: Anwendungsbereiche Blockchain  Quelle: https://cdn-images-1.medium.com/max/1200/1*gw3J1Ae_mjhz_7R3h0mIAw.png

Use Cases: Der Einsatz von Blockchain in der Praxis

Elektronische Patient:innenakte: Als ein möglicher Use Case ist die Optimierung der Dokumentation von Erkrankungen vorstellbar. Die Blockchain speichert und dokumentiert die durchgeführten Leistungen dezentral auf eine Art Index, der sich auf die korrespondierenden Gesundheitsdaten bezieht. Dadurch bleibt die Datenintegrität gewahrt und der Patient oder die Patientin kann selbst die Zugriffsberechtigungen administrieren. (Blockchain Insider; Potenziale der Blockchain im Gesundheitswesen; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 28.09.2020) Leistungserbringer, Krankenkassen und Patient:innen könnten Teil des Blockchain-Netzwerks sein und würden die patientenbezogenen Datenblöcke ergänzen. „Institute, die klinische Studien für eher seltene Krankheiten auflegen, für die nur sehr wenige Teilnehmende zur Verfügung stehen, könnten davon profitieren“ (Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020), aber auch behandelnde Ärzte und Ärztinnen durch eine schnellere und gezieltere Versorgung. Gesondert könnte dieses Vorgehen auch für den digitalen Impfpass adaptiert werden.

Überwachung und Intervention: Für Patienten mit chronischen Erkrankungen, die kontinuierlich überwacht werden und eine Intervention erhalten müssen, stellt die Digitalisierung eine Erleichterung dar. So können beispielsweise Implantate Vitalparameter messen und von der zu behandelnden Person oder den Ärzt:innen gesteuert werden. (Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020) Die Blockchain kann dabei die Manipulation oder Fehler bei der Datenübertragung extrem reduzieren.

Qualitätssicherung und Supply-Chain-Management im Krankenhaus: „Eine noch weitverbreitete Listenführung kann durch die Blockchain abgelöst werden. Sie könnte die Wareneingänge sowie deren Lieferanten, die Bestandsverwaltung und die patientenbezogene Zuordnung von verwendeten Produkten in Datenblöcken zusammenführen, dokumentieren und eine Qualitätssicherung garantieren.“ (Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020) Zudem kann die Blockchain auch zur Überwachung von Kühl- und Lieferketten eingesetzt werden.

Fälschungen vorbeugen: Gefälschte Arzneimittel sind ein weltweites Problem. Die Blockchain kann für diesen Use Case eine sogenannte Arzneimittel-Produktkette abbilden, die in diesem Netzwerk nicht korrumpierbar ist, da die Herstellung, die Wirkstoffe sowie der gesamte Transportweg auf der Blockchain abgelegt werden. Bei der Aufnahme in den Bestand der Apotheke wird das Medikament per QR-Code eingescannt und auf Echtheit überprüft. (Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020 und Blockchain Insider; Potenziale der Blockchain im Gesundheitswesen; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 28.09.2020)

Bonusprogramme-Management: Die Blockchain könnte als weiterer Use Case das Bonusprogramme-Management der Krankenkassen regeln. Vereinsmitgliedschaften, Teilnahme an Präventionsaktionen oder regelmäßige Voruntersuchungen können direkt auf der Blockchain gespeichert werden und Krankenkassen könnten mit deutlich reduziertem Aufwand diese bonusrelevanten Aktivitäten aufnehmen und überprüfen. (Blockchain Insider; Blockchain – eine Chance für die Medizin?; Dipl. Betriebswirt Otto Geißler / Peter Schmitz; 13.05.2020)

Predictive Maintenance von medizinischem Gerät: Herstellende statten ihre medizinischen Geräte mit immer mehr Sensoren aus, die das Medizinprodukt selbst daraufhin untersuchen, ob und wann eine Wartung notwendig ist (Predictive Maintenance). Die Blockchain kann hierbei unterstützen, zumal sie auch mit Situationen umgehen kann, in denen Geräte zeitweise offline sind.

Neue Abrechnungsmodelle: Für die Medizinprodukteherstellende kann die Blockchain die Grundlage für neue Abrechnungsmodelle, z. B. Pay per Use, bilden. Die für die Abrechnung notwendigen Informationen würden transparent, verlässlich und manipulationssicher vom Gerät zum Hersteller übertragen.

Blick in Zukunft: Die Blockchain auf dem Gartner Hype Cycle

Roland Berger sah in einer noch nicht von Covid „gefärbten“ Studie vom Oktober 2019 den Markt für digitale Produkte und Dienstleistungen im Gesundheitswesen bis 2025 auf rund 155 Milliarden Euro wachsen – 38 Milliarden Euro davon allein in Deutschland. (Roland Berger Focus; Future of Health – Eine Branche digitalisiert sich – radikaler als erwartet; Oktober 2019) Ein Follow-up im Oktober 2020 korrigierte die Zahlen nach oben: Das erwartete Wachstum des digitalen Gesundheitsmarktes in Europa bis 2025 soll sich auf 232 Milliarden Euro erhöhen – 57 Milliarden Euro davon in Deutschland. (Roland Berger; Digitaler Gesundheitsmarkt in Europa soll bis 2025 auf 232 Milliarden Euro anwachsen; 13.10.2020) Der größte Schub wird von disruptiver Technologie im Bereich digitale Krankheitsprävention, Diagnostik, sowie Therapieentscheidungen erwartet.

Eine wichtige Rolle in Richtung „maßgeschneiderte Behandlung“ spielen der Berger-Studie zufolge „Digitale Zwillinge“. Diese virtuellen Patient:innen-Abbilder werden auf Basis der DNA erstellt und ständig mit den Daten der Krankengeschichte aktualisiert. Fachleute erwarten, dass bis 2025 schon 30 Prozent der zu behandelnden Personen in den Genuss individualisierter Behandlungen kommen. An diesem digitalen Doppelgänger könnten z.B. Therapien gefahrenlos simuliert werden, bevor sie zum Einsatz kommen.

Gartner Hype Cycle für Blockchain Business 2019
Abbildung 4: Gartner Hype Cycle für Blockchain Business 2019  Quelle: https://cdn1.vogel.de/unsafe/540×0/smart/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1674400/1674407/original.jpg

In fünf bis zehn Jahren (so Stand 2019) wird die Blockchain-Technologie, laut des Gartner Hype Cycle Reports, ihr volles Potenzial entfalten und die Arbeitswelt revolutionieren. Wie in der Grafik zu sehen ist, befindet sich „Blockchain in Healthcare“ an der Grenze vom Innovationsauslöser zum Gipfel der der hohen Erwartungen. Blockchain wird in diesem Umfeld eine Dauer von zehn Jahren prognostiziert bis das Plateau der Produktivität erreicht ist.

Fazit: Das Einsatzspektrum von Blockchain im Gesundheitswesen ist vielseitig

Die Vorteile einer Blockchain sind vielseitig, u.a. Datenintegrität durch kryptografische Verfahren, hoher Schutz vor Manipulationen oder Ausfallsicherheit durch ein Peer-to-Peer-Netzwerk. Sie bildet ein strategisches IT-Werkzeug für neue Geschäftsmodelle. Großes Potential bietet die Blockchain-Technologie bei der Entwicklung des digitalen Zwillings. Die Blockchain ermöglicht es bestehende Geschäftsmodelle, wie Subscription Management oder Predictive Maintenance, in neuen Bereichen zu etablieren und dort bedeutende Fortschritte hervorzurufen. Es gibt noch viele weitere, nicht bekannte Use Cases, die sich entwickeln können, da Medizin ein breit gefächertes Feld ist mit unzähligen Anwendungsfällen.

Jedoch besteht viel Aufholbedarf bei den meisten Unternehmen, da ganze Blockchain-Ökosysteme kreiert werden müssen und seitens der Regierung klare Blockchain-Richtlinien fehlen. „Zudem verlangt die DSGVO, dass die „betroffenen Personen“ einen Anspruch auf Löschung der Daten haben. Genau das erlaubt die Blockchain-Technologie nicht.“ (Johner Institut; Blockchain im Gesundheitswesen; Prof. Dr. Christian Johner; 27.03.2018)

„Bei der Blockchain scheint die Technologie dem Bedarf im Gesundheitswesen noch einen Schritt voraus zu sein. Man beobachtet, dass „First Mover“ im Gesundheitssektor später als in anderen Branchen mit Pilotprojekten starten.“ (Johner Institut; Blockchain im Gesundheitswesen; Prof. Dr. Christian Johner; 27.03.2018)

Gemäß dem Gartner Hype Cycle steht das Gesundheitswesen hinsichtlich Blockchainanwendungen an einem Punkt, an dem Technologien verbessert, Geschäftsmodelle entwickelt und potentielle Kunden akquiriert werden sollten.

 

Mehr zur Blockchain Technologie erfahren

 

Quellen:

1) https://www.blockchain-insider.de/blockchain-eine-chance-fuer-die-medizin-a-928703/
2) https://www.blockchain-insider.de/blockchain-basierter-online-marktplatz-fuer-persoenliche-gesundheitsdaten-a-1055834/
3) https://www.blockchain-insider.de/potenziale-der-blockchain-im-gesundheitswesen-a-961434/
4) https://www.grin.com/document/346537
5) https://www.johner-institut.de/blog/gesundheitswesen/blockchain-im-gesundheitswesen/
6) https://www.vfa.de/download/blockchain-whitepaper
7) https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/pharma-digital/chancen-und-anwendungen
8) https://www.mynewsdesk.com/de/rolandberger/pressreleases/digitaler-gesundheitsmarkt-in-europa-waechst-voraussichtlich-bis-2025-auf-rund-155-milliarden-euro-2934417
9) https://www.deutschlandfunk.de/corona-bekaempfung-in-behoerden-die-verschleppte-100.html
10) https://www.horizont.net/planung-analyse/nachrichten/gartner-hype-cycle-2019-wie-die-blockchain-die-wirtschaft-veraendert-177603
11) https://www.doubleslash.de/technologie/blockchain-anwendungen/
12) https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/der-digitale-patient/projektthemen/smarthealthsystems/digital-health-index
13) https://dup-magazin.de/technologie/e-health-strategie/
14) https://www.rolandberger.com/de/Media/Digitaler-Gesundheitsmarkt-in-Europa-soll-bis-2025-auf-232-Milliarden-Euro.html

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