Die entscheidenden Kerntechnologien auf dem Weg zu selbstfahrenden Fahrzeugen – Teil 1: Sensorik und Sensorfusion

29.11.2019

In unserer Blogserie wird auf die entscheidenden Kerntechnologien auf dem Weg zum selbst fahrenden Fahrzeug eingegangen. Beim autonomen Fahren gibt es aktuell viele Player: Etablierte Autobauer, den amerikanischen Autobauer Tesla, Branchenzulieferer, Technologiekonzerne wie Alphabet und Apple sowie Mobilitätsdienstleister wie Uber oder Dixi. Zwischen diesen Akteuren ist ein Wettlauf um die Neugestaltung des Fahrzeugmarktes entbrannt (siehe auch: „Zukunftsthema E-Mobility: BMW und Daimler investieren mehr als eine Milliarde Euro in gemeinsame Mobilitätsdienste – ein Kommentar“).

Aus Kundensicht ist der Gedanke des autonomen Fahrzeugs reizvoll: Morgens einsteigen, Nachrichten lesen, E-Mails beantworten oder nochmal kurz einen Power-Nap machen, während man sanft durch den dichten Berufsverkehr ins Büro gefahren wird. Geht es nach den Mobilitätsdienstleistern, werden wir in Zukunft keine Autos mehr besitzen, sondern uns Kilometer als Beförderungsleistung kaufen. Die Vision: Das Auto fährt vor und transportiert uns an das gewünschte Ziel.

In modernen Fahrzeugen stecken bereits heute zahlreiche Assistenzsysteme, die alle inneren und äußeren Vorgänge überwachen und dem Fahrer damit viele Aufgaben abnehmen: Brems- und Spurhalteassistent, Abstandsmesser oder Geschwindigkeitsregler. Doch trotz der Technik liegt im Moment noch die Entscheidungshoheit beim Fahrzeugführer, also beim Menschen.

Genau das soll sich in naher Zukunft ändern: „Wir sind schon nahe dran, denn IT- und Automobilhersteller führen gemeinsam mit Zulieferern bereits erste Tests durch. Und zwar nicht etwa auf Sonderstrecken, sondern sogar auf regulären Autobahnen wie auf der A9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg – und mitten im Berufsverkehr“ sagt Rahman Jamal von National Instruments. Aktuell ist das autonome Fahren mit dem sogenannten Staupiloten bereits für mehrere Minuten möglich.[1]

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über verschiedene Kerntechnologien, die das autonome Fahren reif für den Einsatz auf unseren Straßen machen sollen – im Berufsverkehr, aber auch in wesentlich komplexeren Umgebungen wie auf der Landstraße oder in der Stadt. Dazu gehören:

  • Sensorik (Teil 1)
  • Sensorfusion (Teil 1)
  • Virtuelle Testzentren (Teil 1)
  • Vehicle-to-everything – V2X (Teil 2)
  • Kartenmaterial (Teil 3)
  • Konnektivität und 5G (Teil 3)
  • Digital Twin und Daten-Ökonomie (Teil 3)

Sensorik – Die Sinnesorgane für das autonome Fahrzeug

Für ein autonom agierendes Fahrzeug sind Laser- und radargestützte Sensoren und Kameras mit 360° Rundblick, die alles in der näheren Umgebung, aber auch auf Entfernung analysieren, zwingend notwendig. Denn es muss eine Vielzahl an Parametern und Einflüssen aller Art berücksichtigen. Vereinfacht gesagt: Alles, was der Mensch über seine Sinnesorgane wahrnimmt. Je nach Konfiguration für das autonome Fahren reden wir über 15 benötigte Sensoren. Ihre Zahl steigt mit wachsender Komplexität der Anforderungen. Ein Radar etwa detektiert nicht mehr nur, dass etwas da ist und sich bewegt, sondern spezifiziert auch, um welches Objekt es sich handelt. „Erst wenn die Sensorik sehr genau ist, kann man die Verantwortung reduzieren und vom Fahrer an das System abgeben“, betont ein Experte von Audi.“[2]

Die Mehrheit der Automobilhersteller geht heute davon aus, dass für vollautonomes Fahren neben den bereits eingesetzten Kamera- und Radarsystemen ein weiterer unabhängiger Sensortyp, der Lidar, benötigt wird.

Lidarsysteme sind für vollautonomes Fahren ab Level 3 eine wichtige Voraussetzung. Mehrfach redundante Kamera- oder Radarsysteme erhöhen zwar die Zuverlässigkeit, doch Objekte, die das erste Radar/Kamerasystem womöglich systembedingt nicht erfasst, erfasst auch das zweite nicht. Hier braucht es einen weiteren Sensor – und das ist Lidar. Primär soll das System Entfernungen zu ruhenden und bewegten Objekten messen, aber auch durch besondere Verfahren dreidimensionale Bilder der erkannten Objekte liefern.[3]

Der Lidar empfängt die mit Laser ausgesendeten Signale mittels Multispektralkameras, die das Licht in mehreren Wellenlängen aufnehmen können. Das zurückfallende Licht des Lasers von der Oberfläche des Objekts lässt Rückschlüsse auf dessen Geschwindigkeit und Position zu. Mit diesen Daten kann man beispielsweise einen möglichen Kollisionskurs identifizieren und dem entgegnen.[4]

Bei den teils bereits verwendeten Kamerasystemen handelt es sich um Systeme für mittlere bis hohe Reichweiten, das heißt im Bereich zwischen 100 und 250 Metern. Diese Kameras benutzen unter anderem Machine Learning Algorithmen, um Objekte automatisch zu erkennen, zu klassifizieren und ihre Entfernung zu bestimmen. Erkannt werden sollen beispielsweise Fußgänger, Radfahrer, Kraftfahrzeuge, Seitenstreifen, Brückenpfeiler und Fahrbahnränder. Die Algorithmen werden darüber hinaus auch zur Erkennung von Verkehrszeichen und Signalen verwendet.

Kameras mit mittlerer Reichweite dienen im Wesentlichen zur Warnung vor Querverkehr, als Fußgängerschutz sowie für Notbremsung, Spurhalteassistenten und Signallichterkennung. Typische Anwendungsbereiche für Kameras mit hoher Reichweite sind Verkehrszeichenerkennung, videobasierte Abstandsregelung und Straßenführungserkennung.[5]

Radarsysteme sind schon länger in Fahrzeugen verfügbar und übernehmen unter anderem bereits heute folgende Aufgaben:

  • Blindspot Detection (Totwinkel-Überwachung)
  • Spurhalte- und Spurwechselassistent
  • Rückschauendes Radar zur Kollisionswarnung beziehungsweise Kollisionsvermeidung
  • Parkassistent
  • Querverkehr-Überwachung
  • Bremsassistent
  • Notbremsung
  • Automatische Abstandsregulierung

 

Sensorfusion – Zusammenspiel der Sensoren fürs autonome Fahren

Zum Erkennen der Vorgänge auf der Straße müssen die Daten von Kamera, Radar, Ultraschall, Laser usw. abgeglichen werden – Stichwort „Sensorfusion“. Viele Sensoren müssen zusammenspielen, um zu wissen, wo sich das Fahrzeug befindet und was vor und hinter dem Fahrzeug ist, um eine Risikoabschätzung vorzunehmen. Mithilfe von Sensorfusionen lassen sich nicht nur Schwächen einzelner Sensorsysteme ausgleichen, sondern auch eine höhere Ausfallssicherheit (Robustheit) mittels Redundanz gewährleisten. Ziele der Sensorfusion sind außerdem:

  • Verbessern der Genauigkeit
  • Verbessern der Objektklassifikation
  • Verfügbarkeit
  • Vergrößern des Gesamterfassungsbereichs
  • Detailreiche Objektbeschreibung

Darüber hinaus sollten Sensoren in der Lage sein, selbstständig per Algorithmen zu erkennen, wenn sie durch Temperatur, Sonneneinstrahlung, Dunkelheit, Regen oder Schnee außer Gefecht gesetzt werden. Ebenso müssen Marktspezifika wie etwa unterschiedliche Straßenschilder, Meilen statt Kilometer oder Sandverwehungen berücksichtigt werden.

Im folgenden Video lässt sich gut nachvollziehen, wie das Fahrzeug die Straße sieht und warum eine Sensorfusion benötigt wird:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.Mehr erfahren

Video laden

Nicht zu vernachlässigen ist übrigens, dass der Abstimmungsaufwand, also die erforderliche Rechenleistung, um zu sachgerechten Entscheidungen zu kommen, komplexer wird, je mehr Sensorik eingebunden ist.

Virtuelle Testsimulation – Der Weg zu Millionen von Testkilometern

Die gesammelten Daten der Sensorik sind elementar, um virtuelle Testszenarien zu kreieren. Immer mehr OEMs und Automobilzulieferer setzen hier auf die Möglichkeit von Simulationen. Die virtuelle Welt der Simulation ist in Bezug auf Assistenzsysteme von zweifacher Bedeutung. Erstens: Die Tests können über Tage bis hin zu Wochen in allen denkbaren Situationen durchgeführt werden, unabhängig von Testfahrzeugen. Das kann die Entwicklungszeit enorm beschleunigen. Zweitens: die Sicherheit. Das selbstfahrende Auto muss sämtliche Verkehrssituationen bewerten können, sollten sie auch noch so unwahrscheinlich sein. So können zum Beispiel alle Wettereinflüsse simuliert werden. Solche Szenarien lassen sich allein aus Sicherheitsgründen nicht auf öffentlichen Straßen testen, wenn beispielsweise viele Teilnehmer im komplexen Innenstadtverkehr involviert sind.[6]

Mithilfe von Simulationen kann man statt 10.000 Kilometer pro Monat virtuell 8.000 Kilometer pro Stunde zurücklegen. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern schont auch die Umwelt. Außerdem lassen sich Situationen exakt reproduzieren und beispielsweise neue Versionen eines Algorithmus unter den identischen Bedingungen erneut testen. Fehler werden somit reproduzierbar – und Lösungen schneller gefunden.[7]

Doch wie viele Testkilometer sind notwendig, um ein Auto zum eigenständigen Fahren zu befähigen? BMW etwa beziffert den Testaufwand auf 230 Millionen Kilometer. „Rund 95 Prozent der Testkilometer werden per Simulation absolviert“, schätzt Martin Peller, Leiter der Fahrsimulation bei BMW.[8]

Fazit

Schon heute gibt es verschiedenste Assistenzsysteme, die den Autofahrer unterstützen. Für das autonome Fahren werden jedoch ganz neue, wesentlich komplexere Anforderungen an die Sensorik gestellt. Während der Fahrer heute ein Fehlverhalten der Sensorik erkennt und entsprechend handelt, muss dies künftig durch die Sensorfusion erkannt werden. Um dies zu perfektionieren, ist die Simulation eine kostengünstige Möglichkeit.

Für uns als IT Dienstleister stecken im Thema autonomes Fahren insbesondere bei der Konzeption und Entwicklung von Backend Systemen in der Cloud spannende Herausforderungen. Die gesamte Sensorik generiert terabyteweise Daten, die gespeichert, klassifiziert und zu Trainingszwecken wie in der angesprochenen Simulationsumgebung in unterschiedlichsten Szenarien wieder verwendet werden können. Die hohen nicht funktionalen Anforderungen an die Performanz und Skalierung solcher Backend Systeme über eine Cloud Infrastruktur etwa von AWS sind die größten Herausforderungen bei einer solchen Infrastruktur.

Zu Teil 2 mit dem Thema: V2X – Vehicle-to-everything

 

Weitere Informationen rund um das autonome Fahren finden sich hier.

Du interessierst Dich für den Bereich Future Mobility? Dann bewirb Dich jetzt bei uns als Consultant oder Software Entwickler.

 


[1] https://www.etz.de/8335-0-Autonomes+Fahren+Anforderungen+an+die+Technologie+dahinter.html

[2] https://www.etz.de/8335-0-Autonomes+Fahren+Anforderungen+an+die+Technologie+dahinter.html

[3] https://www.all-electronics.de/welche-rolle-spielt-lidar-fuer-autonomes-fahren-und-welche-radar-und-kamera-ein-vergleich/

[4] https://www.autonomes-fahren.de/lidar-licht-radar/

[5] https://www.all-electronics.de/welche-rolle-spielt-lidar-fuer-autonomes-fahren-und-welche-radar-und-kamera-ein-vergleich/

[6] https://www.autonomes-fahren.de/vw-simulation-fuer-assistenzsysteme/

[7] https://www.autonomes-fahren.de/continental-kooperiert-mit-aai-fuer-autonomes-fahren/

[8] https://www.automotiveit.eu/virtuelle-kilometerfresser/entwicklung/id-0064486

 

Zurück zur Übersicht

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*Pflichtfelder

*