Fahrrad – Vom Drahtesel zum vernetzen High-Tech-Vehikel

24.06.2020

Was für eine Entwicklung! Vor 200 Jahren schon wurde das erste muskelbetriebene „Fahrrad“ erfunden. Interessanterweise aus einer Notsituation heraus, denn auch damals war eine Krise ausschlaggebend für Innovation in der Mobilität.

Diese hat sich aufgrund schlechter Ernten und Mangel an Nahrung für Pferd und Mensch entwickelt. Auch früher schon war der Mensch kreativ und erfand so die Draisine, eine Art Laufrad, das als Pferdeersatz diente.1

Im Laufe der Jahre kamen Kettenantrieb, Bremsen, Stahl, Aluminium und Carbon dazu. Unter dem Einfluss von größeren und kleineren Weiterentwicklungen und Innovationen wurde das Fahrrad zu dem, was wir uns heute darunter vorstellen.

Eine ganz wesentliche Innovation liegt allerdings gar nicht so weit zurück: Das E-Bike. Obgleich die Idee von motorisierten Fahrrädern schon über 100 Jahre alt ist. Frühere Konzepte erinnerten allerdings noch zu sehr an Prototypen und vermutlich war die Zeit noch nicht die richtige für dieses Produkt. Erst vor zehn Jahren ist der E-Bike Boom dann wirklich gestartet und seitdem verzeichnet die Fahrradindustrie ein jährliches Absatzplus im zweistelligen Bereich, auch heute noch.2

Fahrräder sind heute zunehmend E-Bikes. Sie entwickeln sich zu Fahrzeugen mit Technologien, die man aus der Automobilwelt kennt: Motorsteuerung, Sensoren, Rechenleistung und vor allem Daten. Mehr als nachvollziehbar also, dass die Branche mit sehr wachsamen Augen auf den nächsten Entwicklungsschritt wartet oder in Teilen diesen sogar aktiv mitgestallten möchte. Der erwartete nächste Evolutionssprung verwundert eigentlich nicht mehr: Bikes sollen vernetzt werden, als IoT-Produkt erfolgreich sein.

Internet of Things und Fahrrad – Suche nach dem heiligen Gral

Die Vernetzung mit dem Internet soll aber weit über ein Schloss hinausgehen, welche wir von Bike-Sharing Fahrrädern kennen. Viel mehr ist der Wunsch im privaten Sektor Funktionen und Services anzubieten, eben wie wir sie aus dem Auto kennen. Services, die dem Fahrer vor, während und nach der Fahrt Mehrwerte bieten und dem Hersteller weitere Einnahmequellen, komplett neue Geschäftsmodelle oder den entscheidenden Vorteil gegenüber dem Wettbewerb verschaffen.

Soweit klingt das plausibel und machbar. Wie gesagt ist die technische Machbarkeit bei Flottenrädern bewiesen, zumindest für Standortbestimmung und Aufsperren. Für den privaten Kunden mit einem 5.000 € E-Bike müssen die Hersteller jedoch einiges an Funktionen drauflegen, damit ein relevantes Interesse entsteht und die versprochenen Vorteile eintreten.

Und genau hier liegt eine die immense Herausforderung, nicht nur in der Fahrradwelt. Wie die Suche nach dem heiligen Gral beschäftigt sich die Branche mit der Frage, welche Idee, welche Funktion oder welcher Service so stark und Mehrwert-stiftend sein wird, dass ein neuer Boom von vernetzten und digitalen Fahrrädern entsteht. Bewusst ist hier das Wort „Fahrräder“ gewählt, denn nicht nur E-Bikes spielen in diesen Überlegungen eine Rolle, sondern auch das traditionelle Fahrrad ohne Motor.

Vernetztes Fahrrad – ein alter Stiefel?

Schaut man etwas genauer in die Portfolios der Hersteller rein, so ist Vernetzung auch im privaten Sektor eigentlich keine Zukunftsmusik. Um hier ein Beispiel herauszunehmen: Der niederländische Hersteller VanMoof stattet seine Räder wahlweise mit einem Modul aus, welches es ermöglicht das Fahrrad in einem Diebstahlfall zu lokalisieren. Ok, das ist weder richtig neu, noch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.

VanMoof geht aber noch weiter und bettet diese Technologie in einen Service ein, sodass der Kunde im Diebstahlfall die BikeHunter von VanMoof einschalten kann, die sich um die Wiederbeschaffung kümmern. Alternativ wird das Fahrrad ersetzt. Das Zusatzpaket bietet VanMoof für 100 € im Jahr an.3 Erst jetzt entsteht ein wirklicher Mehrwert, da konventionelle Versicherungen ohne Datengrundlage so günstige Wiederbeschaffungsangebote nicht platzieren können.

Der spannendste Punkt ist aber, dass VanMoof nicht wahllos Funktion für Funktion entwickelt und im Markt testet sondern sich auf das Thema Diebstahl fokussiert und dies perfektionieren möchte. Das passiert nicht nur technisch und als Servicemodell sondern in der gesamten Unternehmenskommunikation. Beispiel hierfür ist der monatliche BikeHunters Report im VanMoof Blog.4

Insbesondere durch diesen technischen und kommunikativen Fokus baut der Kunde Vertrauen und Glaubwürdigkeit zum Produkt auf und assoziiert VanMoof automatisch mit Anti-Diebstahl und mit technischer und Mehrwert-stiftender Innovation.

Komplexität von IoT

Die Fahrradbranche zeigt eindrucksvoll wie komplex es ist, mit der Vernetzung eines bestehenden Produktes wirkliche Innovation zu betreiben und so viel Mehrwert zu liefern, dass differenzierte Kaufentscheidungen oder neue Geschäftsmodelle möglich werden. Bis jedes verkaufte Fahrrad vernetzt ist, wird es sicher noch einige Jahre dauern. Auch wenn Vernetzung das Top-Thema der letzten Eurobike war und alle großen Hersteller ihre Agenda gemacht haben, so zeigt das Beispiel VanMoof, dass es nicht nur damit getan ist ein IoT-Modul ins Rad zu bringen, sondern dies lediglich ein erster Schritt ist.

Ob sich jeder Digitalisierungsweg so stark Richtung Image der Marke entwickelt, andere Lösungen womöglich Prozesse im Handel essentiell verändern oder das Fahrradfahren entscheidend sicherer wird, dies wird die Suche nach dem heiligen Gral beantworten. Ein einfaches und spekulatives Sammeln von Daten in der Hoffnung, dass diese in Zukunft wertvoll sein können, reicht womöglich nicht aus, um am Ende mit seinem IoT-Produkt erfolgreich sein. IoT und Technologie soll vielmehr als Türöffner verstanden werden und weniger als Selbstzweck.

Fakt ist, dass Lösungen und Antworten nicht von heute auf morgen entstehen und einzelne Phasen auf diesem Weg durchlaufen werden müssen. Ein einfaches Modell zeigt das Reifegradmodell vernetzter Systeme, über das wir bereits 2016 berichtet haben.5 Es soll zum Denken in unterschiedlichen Phasen animieren, die für sich gesehen spezifische Herausforderungen mit sich bringen, aber dennoch aufeinander aufbauen.

IoT Reifegrad
Quelle: eigene Darstellung

 

Fehler zu Beginn vermeiden

Wie die Fahrradbranche, stehen aktuell zahlreiche Branchen und Industrien vor der Herausforderung ihre bestehenden Produkte zu vernetzen und sich damit entscheidende Vorteile zu verschaffen. Häufig zu beobachten ist allerdings, dass in dieser Planung nur sehr selten in Phasen gedacht wird und ab Tag eins bereits umfangreiche vernetzte Lösungen bereitstehen müssen. Das wirkt sich leider negativ auf Kosten, Zeit und Agilität aus und führt oftmals zur Enttäuschung.

Ein weiteres Phänomen ist, dass der erste Schritt in die Vernetzung zwar getan wird, die Unternehmen sich aber zu sehr auf Daten konzentrieren, anstatt auf Mehrwerte, die Technologie wie Vernetzung erst ermöglicht. Nicht selten erlebt man das Szenario, dass Funktionen mit recht geringem Mehrwert entwickelt werden und weder diese noch die daraus entstandenen Daten zu einer Erfolgsstory führen, da im Vorfeld nicht überprüft wurde, wie viel Wert die Daten wirklich haben oder diese im Kontext eines konkreten Use Cases bewertet wurden.

Dies sind nur zwei Szenarien, die wir in der Fahrradbranche kennengelernt haben, die jedoch auch auf weitere Unternehmen und Industrien übertragbar sind. Gleich ist jedoch, dass die Ursachen bereits sehr früh entstehen und vermieden werden können. Grundlage ist dazu jedoch, dass man sich über die Inhalte der diversen Phasen im Reifegradmodell im Klaren ist und diesen Schritt für Schritt durchlebt. Dabei sollen die einzelnen Phasen weniger als starre Projektphasen verstanden werden, sondern viel mehr als Lernphasen, innerhalb denen selbstverständlich agil vorgegangen kann und sollte.

Um Enttäuschungen vorzubeugen, sollte eine IoT-Strategie also im Laufe Ihrer Entwicklung unterschiedliche Schwerpunkte behandeln und gleichzeitig fokussiert Mehrwerte schaffen. Ähnlich wie VanMoof es mir ihren Produkten getan hat. Dennoch muss die Entwicklung Agilität und Lernen ermöglichen – kein leichtes Unterfangen also. Um dies sowohl methodisch als auch im Mindset zu etablieren, ist es wichtig, bereits von Beginn an auf Expertise zurückgreifen zu können. Enttäuschungen werden erheblich reduziert und wer weiß, vielleicht wird sogar der heilige Gral für Ihre Industrie gefunden.

 

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Quellen:

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrrad

2 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152721/umfrage/absatz-von-e-bikes-in-deutschland/

3 https://www.vanmoof.com/shop/de_de/peace-of-mind

4 https://www.vanmoof.com/blog/de

5 https://blog.doubleslash.de/von-der-idee-zum-geschaeftsmodell-wie-ihr-iot-projekt-zum-erfolg-wird/

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