Status Quo Autonomes Fahren – wie weit ist es noch zum Robotaxi?

28.09.2020

Das Thema autonomes Fahren ist seit vielen Jahren mit vielen vollmundigen Versprechungen verbunden. So sagte Elon Musk erst kürzlich auf der WAIC (China AI Conference): „I remain confident that we will have the basic functionality for level 5 autonomy complete this year“.

Auch wenn der Visionär und Gründer von Tesla nicht gerade für Understatement in Bezug auf Timelines bekannt ist, so stellt sich schon die Frage: Wie weit sind wir noch vom selbstfahrenden Robotaxi entfernt?

Auf den ersten Blick ist das autonome Fahrzeug schon längst Realität

In Phoenix (USA) gibt es bereits seit 2017 völlig autonom fahrende Fahrzeuge der Firma Waymo:

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Quelle: https://youtu.be/2hqTnmn51Fg

Und auch der optional buchbare Autopilot von Tesla sieht auf den ersten Blick schon sehr ausgereift aus:

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Quelle: https://youtu.be/tlThdr3O5Qo

Die großen deutschen Automobilhersteller waren in der Vergangenheit ebenfalls ganz vorne mit dabei, zumindest im großen Ankündigungswettlauf. BMW hat beispielsweise für 2021 mit dem iNext ein Angebot für das automatisierte Autobahnfahren versprochen und auch Daimler und VW haben entsprechende Entwicklungen angekündigt. So hat sich auf dem deutschen Markt inzwischen aber eher eine deutliche Ernüchterung bei dem Thema breitgemacht. Teilweise hat man den Eindruck, das Thema wird totgeschwiegen. So wurden beispielsweise wichtige Kooperationen zwischen Daimler und BMW gestoppt und VW geht nun offiziell davon aus, dass Robotertaxis bis mindestens 2030 keine wesentliche Veränderung für das Geschäftsmodell der etablierten Automobilherstellen bringen wird.

Bleibt die Frage: Wo stehen wir wirklich beim autonomen Fahren und wie weit sind die US-Tech Unternehmen bereits enteilt?

Hierzu hilft es, etwas genauer hinzuschauen. So weist beispielsweise Tesla darauf hin, dass die Nutzung des integrierten Autopiloten immer noch eine aktive Überwachung des Fahrers verlangt und ein autonomer Betrieb des Fahrzeugs nicht möglich ist. Den gleichen Hinweis hat Google bereits vor vielen Jahren im Rahmen des Projekts Self-Driving Car (aus dem später die Firma Waymo hervorgegangen ist) seinen Testfahrern ausgegeben. Wie „gut“ das berücksichtigt wurde, lässt sich im folgenden Video nachvollziehen1:

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Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=6ePWBBrWSzo

Hier wird deutlich: Vollautonomes fahren auf dem SAE Level 5 kann nur funktionieren, wenn die Technologie 100% funktioniert. Die meisten würden sich zumindest nicht in ein Robotaxi ohne Lenkrad und Fahrer setzen, bei dem jede tausendste Fahrt auf dem Standstreifen oder mit einem Unfall endet. Auch für die Hersteller werden die allermeisten Business Cases unrentabel, sobald weiterhin der Eingriff eines Menschen erforderlich ist und sei es nur zur Überwachung.

Ein Blick hinter die Kulissen des autonomen Fahrens

Wie wichtig ein wirtschaftlich effizienter Betrieb ist, zeigt das eingangs erwähnte Pilotprojekt von Waymo. Es kursieren Gerüchte, dass dieses nur unter sehr hohen Aufwänden betrieben werden kann mit Kosten pro Fahrzeug von bis zu 400.000$ – Entwicklungs- und Betriebskosten nicht eingerechnet. Hinzu kommt, dass Waymo hier unter idealisierten Testbedingungen arbeitet. In Phoenix regnet es praktisch nie, die Straßen sind schachbrettartig angelegt, in dem vordefinierten Geofence herrscht eher ein überschaubarer Verkehr und das gesamte Umfeld wurde vorab vollständig digital vermessen. Ein für den Massenmarkt geeigneter Betrieb scheint unter diesen Bedingungen noch in weiter Ferne zu liegen.

Tesla hat laut Branchenexperten gegenüber etablierten Automobilherstellern einen Vorsprung von mehreren Jahren. Und das liegt nicht nur daran, dass Tesla bereits sehr große Mengen an Daten zu einer Vielzahl unterschiedlicher Fahrsituationen gesammelt hat, sondern auch an der Architektur der Komponenten im Fahrzeug. So sind bei einem Tesla beispielsweise alle Steuereinheiten in einem einzelnen Gerät gebündelt, auf dem alle wichtigen Fahrinformationen zusammenlaufen2. Dies ermöglicht eine deutlich effizientere Verarbeitung der Informationen rund um das autonome Fahren. Gleichzeitig verzichtet Tesla vollständig auf den Einsatz der teuren Lidar Technik (Zitat Elon Musk: „Anyone relying on lidar is doomed.“). Soweit so gut, wären da nicht die vielen Corner Cases, die bereits zu teilweise schweren Unfällen geführt haben:

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Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=X3hrKnv0dPQ

Die sehr offensive Informationspolitik von Tesla – Stichwort „Autopilot“ – führt hier bei einem Teil der Autofahrer zu einem Gefühl von falscher Sicherheit: Teslas Autopilot funktioniert eben bei weitem noch nicht zu 100%. Die Frage danach, wo Tesla auf dem Weg zum vollautonomen Fahren steht, ist daher viel mehr eine Frage danach, wie viele Corner Cases es theoretisch geben kann und wie viele davon Tesla bereits gelöst hat. Eine Frage die niemand seriös beantworten kann.3

Die kombinatorische Komplexität realer Fahrsituationen ist eben sehr hoch. Fakt ist, dass Stand heute der Autopilot von Tesla vom deutschen Gesetzgeber als Fahrerassistenzsystem eingestuft wird und damit auf SAE Level 2 einzuordnen ist.

Die Zurückhaltung der etablierten Hersteller scheint daher durchaus berechtigt. Es scheint, als hätten die meisten Unternehmen die Komplexität der Technik unterschätzt. Die überzogenen Erwartungen an das autonome Fahren konnten bisher jedenfalls nicht erfüllt werden. Autonome Fahrzeuge würden aktuell zumindest kaum eine „Führerscheinprüfung“ bestehen. Hinzu kommt, dass ein Premiumanbieter wie beispielsweise BMW deutlich vorsichtiger agieren muss. Ein Unfall mit einem unausgereiften „BMW Autopilot“ kann unabsehbare Folgen haben, z.B. aufgrund von sehr kostspieligen Imageverlusten.

Wie sieht die Zukunft kurz- und mittelfristig aus?

Das vollständig autonom fahrende Robotertaxi ohne Lenkrad und Fahrer ist also weiterhin Zukunftsmusik. Hinzu kommt, dass in Deutschland beispielsweise erst noch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Kurz- und mittelfristig ist der Einsatz von Fahrzeugen mit einer zunehmenden Anzahl von autonomen Fahrfunktionen das wahrscheinlichste Szenario. Das bedeutet einzelne, vorher genau definierte Fahrsituationen können unter bestimmten Bedingungen ohne menschliches Zutun autonom vom Fahrzeug bewältigt werden. Das kann beispielsweise ein Stauassistent sein, der bei zähfließendem Verkehr das Fahrzeug steuert oder aber auch ein Autobahnassistent, der auf bestimmten Streckenabschnitten und unter bestimmten Bedingungen die Kontrolle übernimmt. Der Mensch wird aber auch auf die nächsten 10-20 Jahre im Fahrzeug nicht zu ersetzen sein.
Trotz aller Herausforderungen sollte man sich aber dennoch ein Zitat von Elon Musk stets vor Augen führen: „Sometimes I’m not in time. But I get it done.“

 

Mehr zum Thema autonomes Fahren gibt es hier

 

Weitere interessante Blogbeiträge zum Thema:

https://blog.doubleslash.de/wird-autonomes-fahren-in-zukunft-zur-gesetzlichen-pflicht/

https://blog.doubleslash.de/von-driver-only-bis-roboter-taxi-die-herausforderungen-beim-automatisierten-fahren/

 


1 Der Fahrer der im vierten/letzten Video gezeigt wird ist übrigens eingeschlafen

2 Etablierte Hersteller haben eine Vielzahl einzelner Steuergeräte verbaut, z.B. zur Steuerung der Außenspiegel oder zur Sperrung der DVD Wiedergabe im Fahrzeug.

3 Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, wie viele potentielle Corner Cases es geben kann, dem sei der folgende Link empfohlen: https://is.mpg.de/de/news/color-patch-could-throw-self-driving-vehicles-off-track

 

 

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