Beeinflusst ein Tempolimit die Entwicklung autonomer Fahrfunktionen?

25.10.2023

In den vorherigen Beiträgen haben wir uns intensiv mit dem Tempolimit auseinandergesetzt.

Kurz zur Erinnerung: Im ersten Blogbeitrag haben wir das Tempolimit als eine Art „Eintrittsbarriere“ für den Markt thematisiert. Dabei sind wir auf technische Begriffe wie NEFZ und WLTP eingegangen und haben erläutert, wie sie den Flottenverbrauch beeinflussen. Außerdem haben wir die Rolle von Elektrofahrzeugen in dieser Diskussion beleuchtet. Im zweiten Blogbeitrag standen CO2 und Sustainability im Fokus – und wie diese Themen die Automobilindustrie beeinflussen.

 

 

Jetzt, im abschließenden Blogbeitrag, richte ich meinen Blick auf das Tempolimit auf Autobahnen im Kontext des autonomen Fahrens.

Betrachten wir das Tempolimit aus technischer Sicht: Geschwindigkeiten von 250 km/h auf der Autobahn sind eine riesige Herausforderung für die Ingenieurskunst im Fahrzeug. Um es einfach auszudrücken: Bei solchen Geschwindigkeiten müssen Bremsen, Fahrwerk und Motor etc. ganz anders konzipiert sein, als bei 150 km/h. Dies führt zu einem Teufelskreis aus mehr und mehr Gewicht und daraus resultierend noch höheren Anforderungen an die Technik. In Excel würde man klassischerweise von einem Zirkelbezug sprechen.

Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma? Das „Tempolimit“. Interessanterweise haben einige Hersteller wie Volvo und Renault bereits Schritte in diese Richtung unternommen und drosseln ihre Fahrzeuge freiwillig auf 180 km/h. Mit dem Argument der Steigerung der Sicherheit werden hier auch signifikante Kosteneinsparungen vorgenommen.

Jetzt steckt der deutsche Autobauer natürlich in der Klemme: Freiwillig beispielsweise den BMW 330d abriegeln und dann von Mercedes, Porsche und Audi auf der Autobahn weggedrängelt und überholt werden, wäre ein nicht hinnehmbarer Imageverlust für Slogans wie „Freude am Fahren“ oder „Das Beste oder nichts“. Und genau dieses exemplarische Problem haben alle deutschen OEMs bzw. Markteilnehmer des deutschen Markts. Jeder für sich könnte wahrscheinlich mit einem Tempolimit leben, aber wer als Erstes nachgibt, hat den potentiellen Imageverlust. Die ursprüngliche Markteintrittsbarriere für den deutschen Markt, wie im ersten Teil erläutert, wird auf einmal zum limitierenden Faktor beim Cost-Engineering der Bauteile. Für die unter massivem Kostendruck stehenden Baureihenmanager wäre ein Tempolimit ein Segen. Auf einen Schlag könnte eine Kostenreduzierung bei vielen Bauteilen evaluiert und umgesetzt werden – Geld, das für Innovationen wie Softwarefunktionen, Batterien, Elektrifizierung verwendet werden könnte oder um die immer höheren Kosten durch mehr und mehr Regularien z. B. im Bereich Sustainability auszugleichen. Des Weiteren könnte man es für Funktionalitäten im Bereich „Autonomen Fahren“ verwenden werden.

 

Autonomes Fahren ist auch ein politisches Ziel

Die Politik möchte das Thema autonomes Fahren fördern und vorantreiben. Im jüngsten Koalitionsvertrag heißt es hierzu:

„Deutschland soll zum Leitmarkt für Elektromobilität, zum Innovationsstandort für autonomes Fahren werden. Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen werden darauf ausgerichtet … Für autonome und vernetzte öffentliche Verkehre soll es eine langfristige Strategie für digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing geben. Deutschland soll zum Innovationsstandort für autonomes Fahren werden.“ 1

Doch hinter der Technologie des autonomen Fahrens steckt mehr als nur der Wunsch, während der Fahrt zu arbeiten oder sich zu entspannen. In einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der Fachkräften in der Logistik dringend benötigt werden, bietet autonomes Fahren Lösungen. Es ermöglicht Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht selbst fahren können, Mobilität und Unabhängigkeit. Es geht nicht nur um Luxus für Geschäftsreisende, sondern um viele weiter reichende gesellschaftliche Funktionen.

 

Wo stehen wir beim autonomen Fahren?

Im letzten Jahr sind viele Automobilhersteller beim Thema autonomes Fahren durch das Tal der Tränen gegangen. Es gab Fortschritte in kleinen Schritten, doch erwartete Durchbruch ließ auf sich warten. Ein markantes Beispiel für diese Herausforderungen in diesem Bereich ist das Scheitern von Argo AI 2019 schlossen sich VW und Ford zusammen, um gemeinsam an der Spitze der Entwicklung selbstfahrender Autos zu stehen. Doch nur drei Jahre später, 2022, trennten sich die Wege wieder. Ford stieg aus dem Gemeinschaftsunternehmen aus und verbuchte dafür in der Bilanz eine Abschreibung von 2,7 Milliarden Dollar. Auch der VW-Konzern hatte vor drei Jahren 2,6 Milliarden US-Dollar in das Projekt investiert.

 

Autonomes Fahren: Von Level 2+ zu Level 3

Es gibt aber auch Lichtblicke. Nehmen wir den neuen 5er-BMW als Beispiel: Er kann auf deutschen Autobahnen bis zu 130 km/h teilautomatisiert fahren. Die erstmals in Deutschland angebotene Ausführung des BMW-Autobahn-Assistenten (als Level 2+ System) erlaubt es dem Fahrer, während der Fahrt die Hände vom Lenkrad zu nehmen und in komfortabler Position abzulegen. Zudem kann per Blick-Bestätigung die Spur gewechselt werden. Dabei wird das System kontinuierlich von einer Sicherheitskamera überwacht.2

Was bedeutet Level 2+? Es ist eine Ausbaustufe von Level 2. Fahrer können ihre Hände dauerhaft vom Lenkrad nehmen, müssen aber weiterhin die Verkehrssituation im Blick behalten. Level 3, wie etwa beim Drive Pilot von Mercedes-Benz, geht einen Schritt weiter und erlaubt auch Nebenbeschäftigungen wie das Lesen, Spiele und mehr, weil die Fahraufgabe vollständig an das Auto übergeben wird.3

 

Allerdings mit diversen Limitierungen:

  • Max. 60 km/h
  • Kein Regen
  • Kein Schnee
  • nur bei Tageslicht
  • nicht in Tunneln oder Baustellen
  • nicht in Baustellen
  • keine Spurwechsel

Insbesondere der Aspekt mit den Spurwechseln ist dahingehend spannend, dass autonome Spurwechsel aktuell gesetzlich nicht erlaubt sind.4

 

Ein zentrales Thema beim autonomen Fahren ist die Komplexität, insbesondere in Bezug auf Kosten. Ein Komplexitätstreiber für deutsche Autobauer ist dabei natürlich auch das Thema „Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen“.

Kamera, Radar, Lidar müssen bei 250 km/h viel weiter nach vorne sehen, um potentiell gefährliche Objekte (z. B. ein Autoreifen auf der Straße) zu erkennen. Was heute schon sehr schwierig ist, wird natürlich mit jedem km/h deutlich schwerer. Das Fahrzeug hat sozusagen weniger Reaktionszeit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Bedeutet wieder: Allein die „Fähigkeit“ schnell fahren zu können, macht das gesamte System wieder extrem teuer. Dem Kunden aber zu erklären, dass er z. B. mit seinem Mercedes auf der Autobahn nur 120 km/ fahren kann und ansonsten seine (teuren) Systeme alle nicht funktionieren, ist schwer zu verkaufen. Auch sind Systeme wie Automatischer Bremsassistent (AEB) seit 2022 vorgeschrieben und müssen entsprechend bei allen Geschwindigkeiten funktionieren. Die eigene Geschwindigkeit würde sich aber noch kontrollieren lassen, wie man auch beim Level-3-Fahren von Mercedes-Benz oder Level 2+ von BMW sieht. Da stellt sich die Frage: Wie gehen autonome Systeme mit den Geschwindigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer um?

 

Die Herausforderungen des Mischverkehrs im autonomen Fahren

Allgemein ist Mischverkehr (verschiedene Verkehrsteilnehmer: LKW, PKW, Motorradfahrer, Fußgänger, E-Scooter, Busse etc.) für autonome Systeme eine große Herausforderung. Auf Autobahn mag die Vielfalt der Verkehrsteilnehmer geringer sein, doch insbesondere Motorradfahrer bringen ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Bleiben wir bei diesem Beispiel: Schnelle, schwer zu erkennende Motorradfahrer, die schwarz gekleidet auf schwarzem Motorrad auf schwarzem Asphalt bei Nacht, bei Regen oder Schneewetter fahren. Eine Schwerstaufgabe für jedes System. Wenn dieser jedoch jetzt auch noch mit extremen Tempodifferenzen auf der Autobahn auf der rechten Spur von hinten angeschossen kommt (evtl. nicht verkehrskonform), stellt das die Sensorik noch einmal vor ganz andere Herausforderungen. Beispielsweise Tesla war in der Vergangenheit bzgl. „übersehener“ Motorradfahrer häufig negativ in den Medien (und hier sprechen wir nicht von der deutschen Autobahn, sondern von Straßen mit maximal 110 km/h Höchstgeschwindigkeit und deutlich geringeren Differenzgeschwindigkeiten).

Diese sogenannten „Corner Cases“ werden durch die hohen Geschwindigkeitsunterschiede auf deutschen Autobahnen noch komplizierter. Es könnte sogar argumentiert werden, dass autonomes Fahren in naher Zukunft nur auf Strecken mit Geschwindigkeitsbegrenzungen realisierbar ist. Für deutsche Autohersteller ist dies eine Zwickmühle: Einerseits wollen Autobesitzer die Freiheit haben, schnell zu fahren, andererseits könnten ihre teuren autonomen Systeme bei solchen Geschwindigkeiten nicht funktionieren.

Für den deutschen Autohersteller ist das natürlich eine lose-lose Situation. Auf den unbeschränkten Strecken (abzüglich der Autobahnstrecken mit Baustellen, Staus oder allgemeinen Tempolimits) will der Besitzer mal so richtig schnell fahren und dann steigt sein teuer erworbenes L2+/L3 System direkt aus und er kann nur mit dem L2 System weiterfahren. Aber auch, wenn er nur 120 km/h fahren will, wird ihm sein L3/L4 System sagen, dass er es nicht nutzen kann, weil andere Verkehrsteilnehmer ja immer noch 200+ km/h fahren können und somit das System vor unlösbare Probleme stellt.

Es ist zum Beispiel nicht verwunderlich, dass beim BMW Autobahnassistenten für den „Driving Assistant Professional“ ein Blick des Fahrers oder der Fahrerin in den Außenspiegel erforderlich ist, um den Spurwechsel auf der Autobahn zu aktivieren. Die Verantwortung für Mischverkehr mit hohen Differenzgeschwindigkeiten liegt somit beim Fahrer bzw. der Fahrerin.

Es sei denn, die Politik würde regulatorisch eingreifen und ein verbindliches Tempolimit auf deutschen Straßen vorgeben. Dann wären auf einen Schlag zumindest ein Teil der komplexen Probleme gelöst, mit dem einfachen Satz im Lastenheft: Die Maxgeschwindigkeit des L3/L4 Systems ist die Richtgeschwindigkeit für deutsche Autobahnen (130 km/h.)

 

Zwischen Geschwindigkeit und Zukunft: Ein Fazit zum Tempolimit

Obwohl das Tempolimit auf Autobahnen nur 6 % der Gesamtstraßenlänge in Deutschland betrifft, bleibt es ein zentrales Diskussionsthema. Letztlich liegt die Entscheidung über ein mögliches Tempolimit in den Händen der Politik. Bei dem Thema Tempolimit gibt es aber verschiedenste Perspektiven und Aspekte, die zu beachten sind – das sollte durch diese dreiteilige Blogserie gezeigt werden. In den kommenden Jahren werden Nachhaltigkeit, E-Mobilität und autonomes Fahren entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg von Automobilherstellern sein. Auch in Hinblick auf die Kostenseite könnten die deutschen Automobilbauer in einen starken Handlungsdruck kommen und schlussendlich die ursprüngliche Markteintrittsbarriere: „Kein Tempolimit für deutsche Autobahnen“ abschaffen wollen.

 

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[1] https://www.bdolegal.de/de-de/insights/aktuelles/2021/koalitionsvertrag-aspekte-des-verkehrs-und-der-mobilitat  ^

[2] https://t3n.de/news/5er-bmw-teilautomatisiert-130-km-h-fahren-1558451  ^

[3] https://www.computerbase.de/2023-04/bmw-i5-freihaendiges-fahren-bis-130-km-h-kommt-nach-deutschland/  ^

[4] Mercedes Drive Pilot: Autonom nach Level 3 | AUTO MOTOR UND SPORT (auto-motor-und-sport.de)  ^

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